Krebs- und Schalentierreste landen bislang oft in der Tonne. Dabei steckt in ihren Panzern ein wertvoller Rohstoff: Chitin – nach Cellulose das zweithäufigste natürliche Polymer der Welt. Es ist leicht, stabil, biologisch abbaubar, antibakteriell und reichlich vorhanden. Doch bisher scheiterte die breite industrielle Nutzung des Biopolymers an seiner schlechten Löslichkeit und schwierigen Verarbeitbarkeit. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung des ITM an der TU Dresden hat diese Hürde nun überwunden.
Durchbruch mit Potential
Den Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, einen kontinuierlichen Spinnprozess für reine Chitinfasern zu entwickeln – wirtschaftlich, umweltfreundlich und skalierbar für den industriellen Einsatz. Dabei bringt ein weiterer Entwicklungsschritt besonderes Potenzial: Die Fasern können bereits im Spinnprozess gezielt funktionalisiert werden. Diese Funktionalisierung eröffnet vielfältige Anwendungen – vor allem im Bereich medizinischer Textilien.
Löslich statt ätzend
Da Chitin kaum in klassischen Lösungsmitteln löslich ist, kommen üblicherweise aggressive Substanzen zum Einsatz, die gesundheitlich und ökologisch bedenklich sind. Im Projekt wurde daher die ionische Flüssigkeit 1-Ethyl-3-methylimidazoliumpropionat (EMIMOPr) eingesetzt. Sie löst das Polymer bei moderaten Temperaturen und lässt sich rückstandsfrei entfernen – eine zentrale Voraussetzung für medizinische Anwendungen.
Das Forschungsteam übertrug den Spinnprozess vom Labormaßstab erfolgreich auf eine modulare Technikumsanlage und entwickelte daraus ein KMU-taugliches Verfahren. Mit beeindruckenden Ergebnissen: Die hergestellten Chitin-Multifilamentgarne wiesen nicht nur hohe Festigkeiten (> 20 N) auf, sondern zeigten auch eine gleichmäßige Faserstruktur und eine exzellente Verarbeitbarkeit.

Abb. Chitin-Multifilamentgarn (links); Zwirnversuche mit Chitin-Multifilamentgarn (Mitte); Gestrick aus Chitingarn mit einem zusätzlichen Stützfaden und Leinwandgewebe aus reinem Chitingarn. Bilder: ITM
Ionen als Wirkverstärker für textile Medizinprodukte und mehr
Der Clou: Parallel zur Spinnprozessentwicklung wurde ein Verfahren zur gezielten Funktionalisierung mit Ionen etabliert. Bioaktive Ionen wie Calcium, Strontium oder Magnesium sind dadurch dauerhaft in der Faserstruktur zu verankern und werden unter physiologischen Bedingungen wieder abgegeben. Das Ergebnis: entzündungshemmende, wundheilende oder mineralisierende Effekte können unmittelbar nach der Applikation verstärkt und die Funktionalität von z.B. Wundauflagen oder bioaktive Implantate deutlich erhöht werden.
Auch wenn Chitinfasern von Natur aus eher spröde sind: Die funktionalisierten Multifilamentgarne aus Chitin wurden am ITM bereits erfolgreich zu Zwirnen, Geweben und Gestricken verarbeitet. Die ersten Prototypen zeigen: Ob als medizinischer Verbandstoff, als Trägerstruktur für Wirkstoffe oder als umweltfreundliche Alternative zu synthetischen Fasern – das Anwendungsspektrum der innovativen Chitingarne ist breit und sie lassen sich praxisnah zu funktionellen Textilien verarbeiten.
Dieses Forschungsprojekt wurde gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Rahmen der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF), koordiniert vom Forschungskuratorium Textil e. V. Unter der Projektnummer IGF 22568 N können die Ergebnisse der Forschung eingesehen werden.
Kontakt: irina.kuznik@tu-dresden.de