PFAS-Verbot in Europa: Industriestillstand statt Umweltschutz

PFAS-Verbot in Europa: Industriestillstand statt Umweltschutz

Wie das geplante Chemikalienverbot den Mittelstand der Textil- und Bekleidungsindustrie an seine Grenzen bringt und dem Umweltschutz einen Bärendienst erweist.

Ein grüner Plan mit Nebenwirkungen

Der European Green Deal verfolgt das ehrgeizige Ziel, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Teil dieser Strategie ist die Überarbeitung der Chemikaliengesetzgebung (REACH) und insbesondere das Verbot von PFAS – per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen. Diese Stoffgruppe, zu der auch PFHxA gehört, steht im Verdacht, langlebig in der Umwelt zu sein – daher auch die Bezeichnung „Ewigkeitschemikalien“. Die übereilte Abkehr vom Einsatz dieser Substanzen wäre jedoch fatal: Ohne sie steht ein großer Teil der europäischen Textilindustrie vor existenziellen Problemen.

 

Technische Textilien in Gefahr

Das geplante PFHxA- und PFAS-Verbot betrifft nicht nur modische Outdoor-Bekleidung, sondern vor allem technische Textilien, die essenziell für Sicherheit, Mobilität und Energiegewinnung sind. Stefan Thumm, Umwelt- und Nachhaltigkeitsexperte beim Verband der Bayerischen Textil- und Bekleidungsindustrie VTB, kann auf Anhieb eine ganze Latte von Beispielen nennen, die im Falle eines PFHxA- und PFAS-Verbots auf der Liste nicht mehr herstellbarer Produkte landen würden: Dazu gehören Schutztextilien für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste, Sicherheitsgurte und Airbags, aber auch textile Batterieseparatoren in Lithium-Ionen-Akkus, Membranen für Wasserstoff-Brennstoffzellen und Carbonfaser-Verbundstoffe für Windkraftanlagen und Fahrzeugbau. „Diese Materialien sind aufgrund ihrer extremen Hitzebeständigkeit, Wasserabweisung und Langlebigkeit auf fluorhaltige Chemikalien angewiesen. Alternativen mit gleicher Leistung existieren bislang kaum“, weiß Stefan Thumm. Und es würde bedeuten: Sein Konzept erneuerbarer Energie könnte Europa nur noch mit Produkten aus dem Ausland aufrechterhalten – der eigenen Industrie würde die EU die Herstellung untersagen.

 

Der Mittelstand am Limit

Insbesondere der textile Mittelstand ist durch die Verbotspläne gefährdet: Hunderte kleiner und mittlerer Unternehmen in Europa haben in den letzten Jahren enorme Summen investiert, um von C8- auf C6-Chemie – also von den als gefährlich geltenden PFOA auf PFHxA umzustellen. „Diese Maßnahme würde durch ein Quasi-Totalverbot komplett entwertet.“

 

Wissenschaftliche Erkenntnisse? Nicht so wichtig!

Tatsächlich schlägt die europäische Chemikalienagentur (ECHA) derart niedrige Grenzwerte für PFHxA und PFAS vor, dass dies in der Praxis einem vollständigen Verbot gleichkommt. Dabei gilt PFHxA wissenschaftlich gar nicht toxikologisch bedenklich – es ist lediglich nicht biologisch abbaubar.

Grafik ©: Adobe Stock, VTB & Kreativ Konzept pro Earth

Außerdem kritisiert Stefan Thumm: „In den ECHA-Bewertungen existieren eklatante Datenlücken. Die von der Industrie eingereichten Daten wurden kaum berücksichtigt.“ Die geschätzten Emissionen der Branche seien stark übertrieben – tatsächlich liege der reale Ausstoß laut Studien bereits unter einem Kilogramm pro Jahr europaweit.

 

Ein Widerspruch im Green Deal

Ironischerweise bedroht das Verbot genau jene Innovationen, die für den Erfolg des Green Deal selbst entscheidend sind. Tatsächlich würden ganze Branchen ausgebremst, darunter:

  • E-Mobilität, da Fahrzeugkomponenten ohne PFAS kaum sicher funktionieren,
  • Erneuerbare Energien, etwa Windkraft oder Wasserstoffproduktion,
  • Sicherheits- und Schutztechnik, die ohne leistungsfähige Textilien nicht mehr den europäischen Standards entspräche.

Damit steht das Verbot in Konflikt mit den europäischen Zielen für Klimaschutz, Versorgungssicherheit und technologische Souveränität.

 

Forderungen an Politik und Behörden

Die Textilverbände appellieren seit langem eindringlich an die EU-Kommission, den Schutz der europäischen Wertschöpfungsketten sicherzustellen und die Kohärenz der EU-Gesetzgebung zu gewährleisten. Für hochsicherheitsrelevante Anwendungen fordern die Branchenvertretungen eine technische Ausnahme.

„Die Lösung ist nicht das Totalverbot sondern emissionsmindernde Maßnahmen bei der Produktion technischer Textilien, wie sie die deutsche Textilindustrie seit vielen Jahren  verantwortungsvoll eingeführt hat.“ sagt Umweltexperte Thumm.

 

Ein Weckruf: 5 vor 12 für die Textilindustrie!

Bereits im Sommer 2022 hat der Gesamtverband textil+mode mit mehreren textilen Fach- und Landesverbänden die Kampagne „5 vor 12 für Technische Textilien“ gestartet. „Mit dieser Kampagne rufen wir nicht zum Aufhalten des Green Deal auf, sondern zu dessen realistischer Umsetzung“, betont Stefan Thumm, der die Kampagne mitentwickelt hat. „Europa droht sonst, seine technologische Unabhängigkeit völlig zu verlieren – zugunsten von Importen aus Ländern, die weit weniger strenge Umweltstandards haben.“

 

 

Bild: © BLENDE 11 FOTOGRAFEN

Stefan Thumm leitet das Referat Technik, Umwelt und Innovation beim Verband der Bayerischen Textil- und Bekleidungsindustrie VTB. Nach Abschluss seines Studiums in Reutlingen 1996 war der Diplom-Ingenieur für Textilchemie und Textilveredlung in leitender Stellung in der Chemieindustrie tätig. Inzwischen arbeitet er bereits seit über einem Jahrzehnt in der Verbandswelt. Als Green Deal-Experte und Mitglied zahlreicher Expertengruppen bringt er seine umfassende Expertise sowohl in die Beratung von Firmen als auch ins Lobbying auf EU- und Bundesebene ein.