Europa im Sog der Handelsumlenkung Bild: © Andy – pixabay.com

Europa im Sog der Handelsumlenkung

Importboom: US-Zölle, Geopolitik und chinesische Überkapazitäten verändern den Welthandel. Während die EU die eigene Wirtschaft ausbremst und die USA protektionistisch agiert, tobt ein gnadenloser Preiskampf.
Importboom bei Textilwaren

Seit Juni überwacht die EU-Kommission gezielt die Einfuhren bestimmter Sektoren. Im Bereich Textil und Bekleidung sind die Einfuhrmengen teilweise sprunghaft angestiegen – bei gleichzeitigen Preisrückgängen von bis zu 50 Prozent. Vor allem China, Indien und die Türkei drängen mit Billigware auf den EU-Markt. Der Preisverfall verschärft den Wettbewerb und setzt die heimische Industrie unter Druck.

US-Zölle verschieben Handelsströme

Die USA haben hohe länderspezifische Zusatzzölle erlassen. Für Indien betragen diese inzwischen 50 Prozent. Chinesische Waren sind – trotz Zollpause – ähnlich hoch belastet. Strenge Auflagen nach dem UFLPA-Gesetz gegen Produkte aus Zwangsarbeit machen den Billigimport zunehmend unattraktiv. Ende August 2025 entfiel zudem die 800-Dollar-Freigrenze für Kleinsendungen. Viele Exporteure aus China und Indien versuchen auf die EU auszuweichen, wo der Marktzugang einfacher ist.

Europa als Ventil des Überangebots

Chinas Textilausfuhren in die EU stiegen im ersten Halbjahr 2025 um rund 20 Prozent. Die EU-Freigrenze von 150 Euro ermöglicht weiterhin zollfreie Online-Kleinsendungen. Das ist ein Vorteil für Plattformen wie Shein und Temu, deren Marktanteile rasant wachsen – aber nur ein Aspekt unter vielen, betrachtet man die Summe der Wettbewerbsnachteile, denen Hersteller in der EU ausgesetzt sind. Während die USA sich abschotten, wird Europa zum Absatzventil für das globale Überangebot.

Mittelstand im Gegenwind

Der Margendruck wächst, ebenso die Nachweispflichten. Importeure in die USA müssen schon heute belegen, dass ihre Lieferketten frei von Zwangsarbeit sind – bald gilt das auch in der EU: Die neue Zwangsarbeitsverordnung tritt Ende 2027 in Kraft. Um unfaire Importe einzudämmen, plant Brüssel zudem das Ende der 150-Euro-Freigrenze, strengere Plattformregeln und Handling-Gebühren für Päckchen aus dem Ausland. Was meist nicht kommuniziert wird: Diese Maßnahmen erhöhen zugleich Bürokratie und Kosten auch für den heimischen Mittelstand.

Neue Beschaffungsstrategien

Viele Einkäufer setzen inzwischen auf Diversifizierung, weg von China: Bangladesch, Vietnam, die Türkei und Marokko gewinnen an Bedeutung. Allerdings steigen Prüfaufwand und Dokumentationspflichten weiter – unabhängig vom Ursprungsland. Auch das neue Präferenzschema für Entwicklungsländer ab 2027/28 mit möglicher Graduierung Bangladeschs und künftige Freihandelsabkommen mit Indien und den ASEAN-Staaten werden die textilen Handelsströme spürbar beeinflussen.

Frühwarnsystem für Handelsumlenkung

Mit ihrer im Juni 2025 gestarteten Heat Map will die Kommission kritische Entwicklungen beim Import früh erkennen. Das automatisierte Dashboard analysiert Mengen- und Preisdaten. Auffällige Kombinationen gelten als Warnsignal. Die Top-3 der Heat Map sind aktuell die Branchen Chemie, Maschinenbau und Textil.

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Kontakt: Silvia Jungbauer, jungbauer@gesamtmasche.de