Neue Paneuropa-Mittelmeer-Zone ab 2026 Bild ©: Saskia Wend - pixelio.com

Neue Paneuropa-Mittelmeer-Zone ab 2026

Was die revidierte PEM für die Textil- und Bekleidungsbranche bedeutet.

Die Paneuropa-Mittelmeer-Zone (PEM) ist seit Jahrzehnten der wichtigste Präferenzraum für die europäische Textil- und Bekleidungswirtschaft. Ab dem 1. Januar 2026 beginnt für die 25 Vertragsparteien ein neues Kapitel: Die revidierten PEM-Ursprungsregeln treten in den Echtbetrieb ein. Was politisch als „Revision“ bezeichnet wird, birgt für Unternehmen reale Chancen, aber auch neue Risiken.

 

Warum eine Reform notwendig war

Die bisherigen PEM-Ursprungsregeln stammen im Kern aus den 1970er-Jahren. Sie waren auf lineare, nationale Wertschöpfungsketten zugeschnitten und wurden der heutigen, international fragmentierten Textilproduktion immer weniger gerecht. Technischer Fortschritt, neue Materialien und komplexe Veredelungsprozesse führten zunehmend dazu, dass wirtschaftlich sinnvolle Produktionen präferenziell nicht mehr darstellbar waren.

Die Revision des Regionalen Übereinkommens verfolgt daher drei zentrale Ziele: die Modernisierung der Listenregeln, die Erleichterung der Kumulierung und die Reduktion administrativer Hürden. Insgesamt wirkt die Neuausrichtung liberaler, ist jedoch zugleich Teil einer gezielteren EU-Handelspolitik zur Steuerung von Präferenzen und zur Vermeidung von Missbrauch.

 

Zwei Systeme, eine Übergangsphase – und ein harter Schnitt

Das revidierte PEM-Übereinkommen ist formell seit dem 1. Januar 2025 in Kraft. Das Jahr 2025 diente als Übergangsphase, in der alte und neue Regeln parallel angewendet werden konnten.

Ab dem 1. Januar 2026 gilt: Die neuen PEM-Regeln sind nur noch zwischen Ländern anwendbar, die einen „dynamischen Link“ zum revidierten Übereinkommen gesetzt haben („R“ in der Kumulierungsmatrix). Länder ohne diesen Link verbleiben im alten Ursprungssystem („C“). Eine Durchlässigkeit zwischen alten und neuen Regeln besteht nicht mehr. Damit entstehen faktisch zwei getrennte Präferenzzonen, zwischen denen keine diagonale Kumulierung möglich ist.

 

Lagerware und alte Ursprungsnachweise

Eine zentrale Praxisfrage betrifft die Behandlung von Altware und Präferenznachweisen aus 2025. Nach Bestätigung der EU-Kommission können Präferenznachweise und Lieferantenerklärungen, die 2025 nach alten Regeln ausgestellt wurden, bis Ende 2028 verwendet werden. Dies entspricht der dreijährigen Aufbewahrungspflicht des Abkommens. Die alten Nachweise können auch nach dem 1. Januar 2026 als Vorpapiere für die Kumulierung dienen, sofern sie fristgerecht vorgelegt werden. Für Lagerbestände bedeutet dies keine automatische Entwertung, jedoch gegebenenfalls erhöhten Dokumentationsaufwand.

 

Sonderfall Türkei

Die Türkei nimmt eine Sonderrolle ein. In der Kumulierungsmatrix erscheint sie überwiegend mit „C“, da sie die revidierten PEM-Regeln bislang nur im Verhältnis zur EFTA ratifiziert hat. Eine Kumulierung nach neuen PEM-Regeln zwischen EU und Türkei ist daher laut DG TAXUD nicht vorgesehen. Gleichzeitig besteht zwischen beiden eine Zollunion. Nach Auffassung vieler Experten – und auch der schweizerischen Zollbehörden – ist ein „R“ zwischen EU und Türkei systematisch nicht erforderlich. Relevant wird die Matrixkennzeichnung jedoch bei Drittländern, insbesondere im Westbalkan, wo die Türkei eine zentrale Rolle in Lieferketten spielt. Hier sollte formal die alte SAP-Matrix weitergelten, was von der DG TAXUD derzeit verneint wird.

 

Zentrale Neuerungen der neuen PEM

* Liberalere Listenregeln
Die neuen Verarbeitungslisten eröffnen deutlich mehr Wege zum Ursprung. Stricken oder Weben in Kombination mit Färben kann nun ursprungsbegründend sein. Für Vliesstoffe gilt Einstufigkeit („Herstellen aus Fasern“). Bedrucken kann – unter klar definierten Voraussetzungen – auch bei Maschenware Ursprung verleihen. Zwirnen sowie mechanische Vorgänge wie Texturieren oder Gimpen werden ausdrücklich berücksichtigt. Weitere Arbeitsschritte wie Beschichten, Kaschieren, Tränken oder Beflocken gewinnen an Bedeutung. Die Kehrseite: Die Regeln sind nicht logisch übertragbar und erfordern präzise Kenntnis der jeweils einschlägigen Listenregel.

* Volle Kumulierung mit Einschränkungen
Die Reform führt die volle Kumulierung ein, also das Addieren einzelner Verarbeitungsschritte über Ländergrenzen hinweg. Für Textilien (Kapitel 50–63) gilt sie jedoch grundsätzlich nur bilateral. Eine diagonale volle Kumulierung ist von der EU nicht vorgesehen. Einzelne Partner, insbesondere EFTA-Staaten, wenden weitergehende Modelle an – mit möglichen Asymmetrien. Entscheidend ist daher künftig nicht nur der Produktions-, sondern auch der Importstaat.

* Drawback zulässig
Eine Zäsur ist die Abschaffung des Drawback-Verbots bei bilateraler voller Kumulierung – auch für Textilien. Vormaterialien können im Rahmen der aktiven Veredelung zollfrei eingeführt werden, während das Endprodukt dennoch präferenziell exportiert wird. Für komplexe Veredelungsketten ist dies ein erheblicher Wettbewerbsvorteil.

* Höhere Toleranzen
Die textilspezifischen Toleranzen werden angehoben: 15 % Gewichtstoleranz für Textilien sowie 15 % Werttoleranz für Konfektionsware, bezogen auf den Ab-Werk-Preis.

* Bedrucken und „mechanischer Vorgang“

Die Bedruckenregel wurde präzisiert und gilt nun auch für Maschenware. Voraussetzung sind eine dauerhafte, objektiv bewertbare Funktion des Drucks, der Einsatz von Sieb-, Walz- oder Sublimationsdruck sowie mindestens zwei Vor- oder Nachbehandlungen. Bei einer Wertschöpfung von 50 % kann Bedrucken auch ohne Weben oder Stricken Ursprung verleihen.

Für viele Garne und bestimmte Gewebe kann zudem Ursprung durch Zwirnen in Kombination mit einem mechanischen Vorgang erlangt werden. Die Abgrenzung dieser Vorgänge ist jedoch nicht abschließend geklärt; nationale Auslegungen unterscheiden sich. In Zweifelsfällen bleibt die verbindliche Ursprungsauskunft das zentrale Instrument.

 

Fazit

Die neue PEM eröffnet der Textil- und Bekleidungsindustrie spürbare Spielräume, erhöht jedoch zugleich die Komplexität. Uneinheitliche Auslegungen, neue Kumulierungslogiken und die klare Trennung zwischen „R“- und „C“-Zonen steigern das Fehlerrisiko. Unternehmen, die ihre Lieferketten frühzeitig systematisch prüfen, können profitieren. Wer abwartet, riskiert den Verlust von Präferenzen – trotz unveränderter Abläufe.

 

Silvia Jungbauer, jungbauer@gesamtmasche.de

 

Hinweis: Dieser Beitrag dient der fachlichen Einordnung und ersetzt keine rechtliche Beratung. Maßgeblich sind die jeweiligen Abkommenstexte, Veröffentlichungen im EU-Amtsblatt und die Verwaltungspraxis der Zollbehörden.