Die belgische Ratspräsidentschaft und die Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments haben sich auf eine politische Einigung zur „Omnibus I“-Richtlinie geeinigt. Mit ihr sollen sowohl die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) als auch die Sorgfaltspflichten (CSDDD) praxistauglicher ausgestaltet werden. Auch wenn der finale Rechtstext noch aussteht, zeichnen sich wichtige Änderungen bereits klar ab – mit erheblichen Auswirkungen für die mittelständisch geprägte Textil- und Bekleidungsindustrie.
Deutliche Anhebung der Schwellenwerte: Mittelstand fällt weitgehend heraus
CSRD – Nachhaltigkeitsberichterstattung: Der Anwendungsbereich soll künftig erst ab 1.000 Beschäftigten und 450 Mio. € Nettoumsatz gelten. Für die Textil- und Bekleidungsbranche mit ihrer breiten Basis kleiner und mittlerer Unternehmen bedeutet dies eine spürbare Entlastung: Viele bislang berichtspflichtige Unternehmen werden künftig nicht mehr erfasst.
CSDDD – Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette:
- Anwendungsbereich ab 5.000 Beschäftigten und 1,5 Mrd. € Umsatz
- Allerdings: Überprüfungsklausel für eine mögliche spätere Ausweitung
- Ein Jahr längere Umsetzungsfristen: nationale Umsetzung bis 26. Juli 2028, Anwendung ab Juli 2029
- Keine Pflicht mehr zu Klimatransitionsplänen
- Risk-based Approach statt Vollkartierung: Unternehmen müssen keine vollständige Abbildung der gesamten Wertschöpfungskette mehr vornehmen. Stattdessen genügt eine „Scoping Exercise“, die auf verfügbaren Informationen basiert.
- Priorisierung direkter Geschäftspartner möglich, wenn Risiken gleich schwer wiegen
- EU-weite Haftungsnorm gestrichen
- Sanktionen: maximal 3 % des weltweiten Nettoumsatzes
Für den Mittelstand ist vor allem der Wegfall der verpflichtenden tiefen Kartierung relevant: Eine vollständige Risikoanalyse über alle Stufen globaler textiler Wertschöpfungsketten hinweg wäre für viele KMU weder leistbar noch nachweisbar gewesen. Mit den neuen Schwellenwerten dürften schätzungsweise 80 % der bislang betroffenen Unternehmen aus dem Anwendungsbereich herausfallen – ein wichtiger Schritt in Richtung administrativer Entlastung.
Besondere Bedeutung für die mittelständische Textil- und Bekleidungsindustrie
Die Textilbranche ist geprägt von global fragmentierten Lieferketten, hoher Fertigungstiefe und komplexen Strukturen zwischen direkten und indirekten Geschäftspartnern. Die nun vorgesehenen Anpassungen berücksichtigen diese Realität stärker als frühere Entwürfe. Insbesondere der Wegfall der Vollkartierung und die Möglichkeit, sich auf direktere Zulieferstufen zu fokussieren, verringern den bürokratischen Aufwand erheblich.
Zugleich bleibt für größere Unternehmen die Pflicht zur Risikoidentifikation bestehen. Diese werden weiterhin Daten und Nachweise von ihren mittelständischen Zulieferern anfordern. Dadurch bleibt der Druck entlang der Kette bestehen.
Spannungsfeld Deutschland: Lieferkettengesetz und Sorge vor Gold-Plating
Mit Blick auf das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) stellt sich nun die zentrale Frage: Wird Deutschland die EU-Erleichterungen vollständig übernehmen – oder nationale Vorgaben beibehalten bzw. verschärfen?
Bereits heute gilt in Deutschland:
- Ein deutlich niedrigerer Schwellenwert (seit 2024 1.000 Beschäftigte)
- eine weitgehende Pflicht zur Risikoanalyse,
- die Befugnis des BAFA zu tiefgehenden Prüfungen,
- ein umfangreicher Katalog zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken.
In der mittelständischen Textil- und Bekleidungsindustrie wächst daher die Sorge vor einem Gold-Plating, also einem Übererfüllen der EU-Vorgaben. Dies könnte passieren, wenn:
- bestehende strengere LkSG-Regeln nicht entschärft oder harmonisiert werden,
- zusätzliche Pflichten eingeführt werden, die über den Omnibus-Kompromiss hinausgehen,
- nationale Behörden für künftige Kontrollregime einen schärferen Ansatz wählen.
Für den Standort Deutschland wäre ein solches Gold-Plating wettbewerbsverzerrend – besonders für exportstarke Branchen wie die Textil- und Bekleidungsindustrie, die bereits unter hohen Kostenstrukturen leidet.
Warum eine 1:1-Umsetzung entscheidend ist
Verbände und Unternehmen fordern daher mit Nachdruck:
- eine reine 1:1-Übernahme der EU-Vorgaben,
- keine zusätzlichen nationalen Standards,
- eine Harmonisierung mit dem LkSG, statt eines Nebeneinanders zweier Systeme.
Nur so lässt sich vermeiden, dass Deutschland erneut strengere nationale Regeln setzt und damit den Mittelstand stärker belastet als Wettbewerber in anderen EU-Ländern. Ein europäischer Flickenteppich wäre für global integrierte Branchen wie Textil und Mode ein gravierender Rückschritt.
Blick nach vorn: Zustimmung bemisst sich an der Bundesregierung
Die Omnibus-Einigung muss nun noch in Rat und Parlament bestätigt werden. Die Termine stehen:
- 10. Dezember 2025: Coreper II (Rat)
- 11. Dezember 2025: JURI-Ausschuss (EP)
- 16. Dezember 2025: EP-Plenum
Entscheidend ist die Position der Bundesregierung. Die Koalition muss sich rasch einigen, um Planungssicherheit für die Wirtschaft zu schaffen. Gerade der Mittelstand erwartet ein klares Bekenntnis zu Entlastung und europäischer Wettbewerbsfähigkeit.
Die Omnibus-1-Einigung ist ein wichtiges Signal: mehr Pragmatismus, mehr Realismus, mehr Entlastung. Für die mittelständische Textil- und Bekleidungsindustrie ergeben sich damit echte, greifbare Verbesserungen – sofern Deutschland nun nicht erneut eigene, strengere Wege geht. Die Branche hofft auf eine konsequente europäische Harmonisierung und ein Ende nationaler Übererfüllung.
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