Ein Gastbeitrag von Frank Liebold, Country Director Atradius Deutschland
Die Situation für die Händler von Bekleidung hat sich normalisiert – allerdings auf niedrigem Niveau. Insgesamt wurden im Jahr 2024 in der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie 46 Insolvenzverfahren eröffnet. Dazu gehörten namhafte Unternehmen wie SinnLeffers, Gerry Weber, Peek & Cloppenburg oder Esprit. Derzeit scheint eine – vielleicht trügerische – Ruhe eingekehrt zu sein.
Dass es der Branche noch lange nicht gut geht, zeigen die nackten Zahlen. Der Bruttoproduktionsumsatz mit Textilien, Leder und Bekleidung ging im vergangenen Jahr nach Angaben von Oxford Economics in Deutschland um 4,2 Prozent auf 27,1 Milliarden Euro zurück. Tendenz sinkend. Denn auch für dieses Jahr wird mit einem weiteren Rückgang auf etwas mehr als 26 Milliarden Euro und 2026 auf rund 25 Milliarden Euro gerechnet. Nicht viel besser sieht es in der Eurozone aus. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz der Branche bei 141 Milliarden Euro – im Jahr 2026 wird nur noch mit Erlösen von rund 130 Milliarden Euro gerechnet.
Dennoch gibt es bei den Textilern aktuell zumindest keine größeren Verwerfungen. So scheint der Umsatz in der Bekleidungsindustrie mit rund sieben Milliarden Euro seinen Boden gefunden zu haben. Zwar haben sich die Mietpreise in den Innenstadtlagen nicht weiter erhöht, doch die Personal- und Energiekosten belasten die Branche ebenso wie die massiv gestiegenen Bau- und Renovierungskosten für den Einzelhandel. Hinzu kommt die anhaltende Zurückhaltung der Verbraucher angesichts der wirtschaftlichen Verunsicherung. Die Folge: Aktuell gibt es zwar keine nennenswerten Insolvenzen, doch dafür sehen wir ein Anstieg der Nichtzahlungsmeldungen. Sie sind im Vergleich zu 2024 per Mitte Mai dieses Jahres um 3,7 Prozent gestiegen – ein erster Indikator für zunehmende Schwierigkeiten in der Branche.
Die Risiken für die Branche sind trotz der Normalisierung enorm. So steht die durch neue EU-Vorschriften unter dem Druck, Nachhaltigkeitspraktiken zu implementieren. Ebenso sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine Belastung. Das ifo-Institut prognostiziert für 2025 ein Wirtschaftswachstum von nur 0,2 Prozent – dies spiegelt strukturelle Veränderungen, schwache Nachfrage und politische Unsicherheiten, insbesondere durch mögliche US-Zölle, wider. Auch der Trend hin zu Online-Handel und Secondhand-Kleidung fordert traditionelle Einzelhandelsmodelle heraus. Fazit: Die Textil- und Bekleidungsindustrie steht 2025 vor dynamischen Herausforderungen. Während sie durch Nachhaltigkeit, technische Innovationen und den wachsenden Markt für Kreislaufmode als Gegenmodell zu Fast Fashion profitieren könnte, muss sie gleichzeitig mit wettbewerbsintensiven Herausforderungen, regulatorischen Anforderungen und wirtschaftlichen Unsicherheiten umgehen.
Frank Liebold verantwortet seit Mai 2014 das deutsche Kreditversicherungsgeschäft von Atradius. Der 1966 geborene Diplom-Kaufmann besitzt mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Kreditversicherungsbranche. Vor Atradius hatte er mehrere Führungspositionen bei Euler Hermes inne, zuletzt als Commercial Director für das Kreditversicherungs- und ABS-Geschäft der DACH-Region.