„In Zeiten zerrütteter Lieferketten, überschießender Rohstoffpreise und steigender Nachhaltigkeitsanforderungen ist es höchste Zeit, sich neu zu orientieren“, sagt Martina Bandte, Präsidentin von Gesamtmasche. „Usbekistan kann für uns in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen.“
Verbandspartnerschaft gestartet
GESAMTMASCHE und UZTEKSTILPROM intensivieren ihre Zusammenarbeit mit einer Kooperationsvereinbarung und einem konkreten Maßnahmenkatalog: Im Mittelpunkt stehen direkte Geschäftskontakte, die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften und die Baumwoll- und Textilproduktion nach Öko- und Sozialstandards. Unterstützt werden die Verbände durch ein Partnerschaftsprogramm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das mit der Entwicklungsorganisation sequa umgesetzt wird. „Dadurch erreicht unsere Zusammenarbeit eine neue Stufe“, sagt Ilkhom Khaydarov, Präsident von UZTEKSTILPROM. „Usbekistan bekommt die Chance, ein international anerkannter Branchenplayer zu werden.” Ein wichtiges Element seien dabei auch die von der EU gewährten Zollvorteile im Rahmen des GSP+.
Usbekistan treibt die Modernisierung und den Ausbau der Wirtschaft rasch voran. Das gilt auch und vor allem für die Textilindustrie. Für die deutsche Textilbranche entstehen dadurch vielfältige Geschäftschancen. Ich freue mich daher über die Partnerschaft von Gesamtmasche und Uztekstilprom. Sie macht die Verbindung zwischen unseren Ländern enger und öffnet Türen zur rechten Zeit.
Dr. Tilo Klinner, bevollmächtigter und außerordentlicher Botschafter in Usbekistan
Erste Fact Finding Tour
Anfang November reiste GESAMTMASCHE mit einer zehnköpfigen Unternehmerdelegation nach Taschkent und ins Fergana-Tal und besuchte elf usbekische Betriebe verschiedener Wertschöpfungsstufen vom Garn bis zur Konfektion. „Die hochmodernen Anlagen und die Aufbruchsstimmung bei den usbekischen Unternehmern haben uns sehr beeindruckt“, so GESAMTMASCHE-Präsidentin Martina Bandte, „und auch die Konsequenz, mit denen Usbekistan das Problem der Kinder- und Zwangsarbeit bekämpft und beseitigt hat.“ In den letzten fünf Jahren haben usbekische Firmen über 600 Mio. US-Dollar in neues Equipment investiert. Der überwiegende Teil der angeschafften Maschinen stammt aus Deutschland und der Schweiz. Die Zertifizierung der Produktion, angefangen beim Baumwollfeld, wurde bereits in Angriff genommen. Dazu tragen auch die Initiativen der GIZ und der Weltbank bei. GOTS-zertifiziert sind in Usbekistan bislang aber erst sechs Unternehmen. Eine BSCI-Zertifizierung haben immerhin bereits zwölf, sieben sind es bei Sedex. Immerhin 45 Firmen können den OEKO-TEX® Standard 100 vorweisen. „Überprüfbare Nachhaltigkeit und Transparenz gehören zu unseren Kernzielen“, betont Verbandspräsident Khaydarov. „Allerdings braucht der Zertifizierungsprozess viel Zeit. Nächstes Jahr dürfte sich die Zahl der zertifizierten Firmen bereits verdoppelt haben.“
Reformen und Branchenwachstum im Eiltempo
„Die Regierung unter Präsident Mirsijojew reformiert die Wirtschaft seit 2017 in einem atemberaubenden Tempo“, sagt Dr. Uwe Strohbach, Zentralasien-Experte von Germany Trade & Invest (GTAI). „Das Land entwickelt sich zu einem internationalen Branchenhotspot. Die Textil- und Bekleidungsindustrie zählt zu den Top-Investitionsbranchen im verarbeitenden Gewerbe.“ Im Bereich Baumwolle verfügt Usbekistan bereits über eine vollstufige Herstellungskette. In den letzten Jahren wurde der Textilexport systematisch ausgebaut. Praktisch die gesamte usbekische Baumwollernte wird bereits heute im Inland versponnen. Das hat in den letzten 25 Jahren kein anderes Baumwollland geschafft. 2020 hat Usbekistan Textilwaren im Wert von 1,9 Mrd. US-Dollar exportiert – 125 Prozent mehr als im Vorjahr. Fertigware machte dabei knapp über der Hälfte der Textilexporte aus. Für 2021 strebt Usbekistan das ehrgeizige Ausfuhrziel von 3 Mrd. US-Dollar an. Während es 2018 lediglich 15 Baumwolltextil-Cluster gab, waren es Ende August 2021 schon 122.
Standortfaktoren auf einen Blick
Mit 35 Mio. Einwohnern ist Usbekistan das am dichtesten besiedelte Land Zentralasiens. Als besonderen geografischen Vorteil hat Usbekistan als einziges Land der Region gemeinsame Grenzen mit allen anderen zentralasiatischen Ländern. Das ist eine gute Ausgangsbasis für die Entwicklung zu einem regionalen Wirtschaftszentrum und Verkehrsknotenpunkt. Auch die logistische Anbindung an Europa ist gut: Fracht per Lkw nach Deutschland hat eine Laufzeit von ca. 14 Tagen. Die Bevölkerung ist jung und wächst mit einem jährlichen Zuwachs von 600.000 Menschen dynamisch. 57 Prozent der Einwohner sind unter 30 Jahre alt. Entsprechend groß ist das Angebot an jungen, lernwilligen und motivierten Arbeitskräften, während die Lohnkosten gering sind. Wie erfolgreich sich die Restrukturierungspläne in der Textilbranche umsetzen lassen, ist indessen nicht gewiss: Während sich die Produktion von Standard-Rohware auf modernen Anlagen in hohen Volumina als effizient erweisen kann, mangelt es an Diversifizierung bei den nachfolgenden Stufen. „Billige Massenproduktion ist für den europäischen Markt kein Konzept mehr. Hier sind Flexibilität, kleine Losgrößen und Schnelligkeit gefragt“, sagt Martina Bandte. Ob der usbekische Mittelstand die Chance erhält, sich neben – oder mit – den großen Clustern zu profilieren, wird sich noch zeigen.
Bild oben: © Gesamtmasche